Am 06.11.2019 hielt der Althistoriker Egon Flaig im Rahmen der Ringvorlesung „Geschichte als Waffe“ an der FU einen Vortrag mit dem Titel „Mémoire gegen Histoire. Überlegungen zur Memorialkultur im archaischen und klassischen Hellas“, in welchem er neben einer Auseinandersetzung mit den Gründungsmythen der athenischen Demokratie auch allgemeine Überlegungen zum Gegensatz zwischen Geschichtskultur und Geschichtswissenschaft anstellte, um im Fazit zum Rundumschlag gegen die angebliche Zerstörung der Wissenschaft durch Postcolonial- und Diversity-Ansätze auszuholen.
Vielen seiner Thesen und Argumente sollte dringend widersprochen werden. Dies geschah unter anderem bereits durch den Arbeitsbereichs Geschichtsdidaktik, die in einer Stellungnahme vom 14.11.2019 Kritik u. a. zu seinen Ansichten zu Menschenrechten („Amnesty International handelt menschenrechtsverletzend, wenn die Organisation das Tragen von Burka und Niqab verteidigt“) äußerten (siehe: https://www.geschkult.fuberlin.de/e/fmi/bereiche/ab_didaktik/News/Stellungnahme-zum-Vortrag-von-Egon-Flaig-inder-Ringvorlesung-_Geschichte-als-Waffe_-am-6_11_2019.html). Hiermit verweisen wir auf diese Stellungnahme und möchten uns den dort geäußerten Punkten anschließen. Seine Ansichten zu den Gründen der imperialen Inbesitznahme des afrikanischen Kontinents durch europäische Mächte („um die Sklaverei abzuschaffen, mussten England und Frankreich ständig militärisch intervenieren und schließlich weite Teile Afrikas unter ein militärisches Protektorat stellen“) seien an dieser Stelle lediglich erwähnt. Offensichtlich handelt es sich bei dieser Aussage im besten Fall um eine grobe Vereinfachung des europäischen Imperialismus und im schlimmsten Fall eine bewusste Relativierung desselbigen. Auch wird selbstorganisierten Bewegungen der Unterdrückten jegliche eigene Gestaltungkraft abgesprochen, indem das Ende der Sklaverei nur auf den Freiheitswillen einiger fortschrittlicher Kräfte in England und Amerika zurückgeführt wird.
Im Folgenden wollen wir uns auf das Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur fokussieren, welches Egon Flaig als ein diametrales darstellt. Laut seinem Standpunkt ist es schädlich für die Geschichtswissenschaft, „unter dem Einfluss von Opfernarrativen zu stehen“. Dass eine Trennung zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur notwendig ist, wollen wir nicht bestreiten. Allerdings wollen wir bestreiten, dass die Geschichtswissenschaften von „Opfernarrativen“ durchsetzt sind, die nicht nur ihre freie Entwicklung, sondern die Wissenschaftsfreiheit im Allgemeinen bekämpfen. Flaig behauptet die Geschichtswissenschaft sei durchsetzt von Leuten, die Identitätspolitik fürsogenannte Opfergruppen betreiben würden. Diese würden Opfermythen heraufbeschwören, um den Unterschied zwischen Opfern und Nachfahren zu verwischen. Diesen „mythomatisch erzeugte[n] Leiden“ unterstellt Flaig, wohlweislich ohne konkretes Beispiel, oft „keinerlei historischen Anhaltspunkt“ zu besitzen, und relativiert somit historische Verbrechen. Diese auch in seinem Vortrag herausgearbeitete Position beschreibt er ausführlicher in einem im April 2016 erschienenen Aufsatz „Memorialgesetze und historisches Unrecht. Wie Gedächtnispolitik die historische Wissenschaft bedroht“. Das Ziel seines Vortrags ist also durch Postcolonialund Diversity-Ansätze sowie scheinbar jeglicher Multiperspektivität die Wissenschaftlichkeit abzusprechen. Kritik an anderen wissenschaftlichen Ansätzen, wenn auch hier in der Form vollkommener Negierung vorgetragen, mag für den ein oder anderen noch kein Grund, jemanden in die „rechte Ecke“ zu stellen, aber das ist bei Egon Flaig auch gar nicht nötig. Dorthin hat er sich unlängst selbst verzogen. 2018 unterzeichnete er als einer der ersten die „Gemeinsame Erklärung 2018“ von Vera Lengsfeld, die sich gegen die „Beschädigung Deutschlands durch illegale Masseneinwanderung“ positioniert. Bereits zuvor redete er für die AfD Charlottenburg über die „Geschichte des Rassismus“ und immer wieder wird er von Seiten der AfD als „Sachverständiger“ zu geschichtswissenschaftlichen und erinnerungspolitischen Fragen zitiert und zu Veranstaltungen eingeladen.
Auch wenn die Professor_innenschaft die Positionen Flaigs bei einer Diskussion im Institutsrat ablehnte, so ist es doch bedauerlich, dass nur der Arbeitsbereich Didaktik sich offen dagegen positionierte. Auch in der nächsten Sitzung der Ringvorlesung äußerte sich niemand der Organisatoren zur vorhergehenden Veranstaltung.
Leider haben wir versäumt uns im Vorfeld der Vorlesung über die eingeladenen Gäste zu informieren und gegebenenfalls gegen die Veranstaltung zu mobilisieren. Auch wenn die Ansichten Herrn Flaigs von der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit gedeckt zu sein scheinen, halten wir es doch für unvereinbar mit dem Selbstbild unserer Universität, deren Gründung neben der Abgrenzung zur Ostberliner Universität auch eine klare antifaschistische Stoßrichtung hatte, einem der wichtigsten akademischen Vertreter der neuen Rechten an der FU eine Bühne zu bieten. Daher fordern wir alle Institutsmitglieder dazu auf, von einer zukünftigen Einladung Flaigs oder eines_einer seiner Gesinnungsgenoss_innen abzusehen.