Dieter Lenzen als Bildungsrevolutionär?

Vor zwei Tagen machte der jüngst wiedergewählter FU-Präsident Dieter Lenzen wieder mal Schlagzeilen: Ein Bildungsrevolutionär sei er, titelte die Süddeutsche Zeitung am 8. März dieses Jahres, und lobte seine Vorschläge geradezu in den Himmel.
Ein genauer Blick zeigt jedoch: Lenzens Vorschläge sind weder neu noch revolutionär, sondern laufen letzendlich auf die seit 20 Jahren gebetsmühlenartig wiederholten Rufe nach mehr Wettbewerb und Privatisierung heraus, die mittlerweile abseits des „Experten“ und Unternehmensberater-Millieus kaum noch jemand hören mag. Deshalb bemüht sich Lenzen, scheinbar linke Forderungen aufzugreifen, und so tatsächlich den Anschein einer fortschrittlichen Reform zu erwecken. Zum Beispiel die Forderung nach einem Studium auch ohne Abitur oder nach regelmäßigeren Fortbildungen für Lehrer oder besserer Integration von MigrantInnen. Alles an sich nicht schlecht, jedoch der Teufel steckt im Detail.
Studium ohne Abitur?
Das Studium ohne Abitur ist für Lenzen nämlich verbunden mit dem Nachweis der „Studierfähigkeit“, also mit weiteren Prüfungen: „neben dem Abitur bekämen fächerspezifische Tests, die Hochschulen oder spezielle Test-Firmen anbieten, größeres Gewicht“. Das bedeutet faktisch keine Ausweitung des Abiturs als Hochschulzugangsberechtigung auf breitere Schichten der Gesellschaft, sondern eine Privatisierung des Hochschulzugangs. Statt einem allgemeingültigen Test müssten sich Studierwillige nun an jeder Hochschule neu testen lassen, oder die Hochschulen würden allgemeine Tests von Privatfirmen anerkennen, nach dem Muster der US Tests „SAT“ oder „GRE“. Diese Tests sind jedoch nicht nur kostenpflichtig und teuer, sie entziehen sich auch jeder demokratischen Kontrolle, da sie von Privatfirmen nach eigenem Gusto entworfen werden – nicht einmal die Testfragen sind bekannt, auch nicht hinterher, den sie unterliegen dem Copyright.
Zudem haben die Studierfähigkeitstests eine extreme Klassen- und Millieublindheit, was auch in den USA immer stärker kritisiert wird. So beruht etwa der Nachweis der „Studierfähigkeit“ extrem auf dem Wortschatz des Probanden, und ein guter Wortschatz definiert sich in Amerika durch die Sprachgewohnheiten weißer Mittel- und Oberklassen AkademikerInnen der US-Ostküste. Wer nicht aus diesem Milleu stammt, wird es schwerer haben, und über das tatsächliche Wissen oder die Fähigkeit zum Lernen wird so eh nichts ausgesagt.
Eine derartige Privatisierung des Abitur wäre also kein Fort-, sondern ein Rückschritt und würde den Hochschulzugang für viele eher erschweren und komplizieren.
Lehrerfortbildung und Integration von MigrantInnen
Aber wie ist es mit der nächsten Forderung, der Fortbildung der Lehrer? An sich nicht verkehrt, nur daß Lenzen Zwangsfortbildungen fordert. Lehrer sollen „grundsätzlich befristet beschäftigt werden“, und wer sich nicht fortbildet, der fliegt. Dies bedeutet massive und lebenslange Arbeitsunsicherheit für Lehrerinnen, statt positiver Motivation eine Lebenslange Einschüchterung, die sicher nicht zum Rückang von unter Lehrerinnen stark verbreiteten „Burn Out Syndrom“ und anderen Berufskrankheiten führt.
Weiter geht es mit den progressiven Forderungen: „Um Migranten und Kinder aus armen Familien besser zu fördern, soll der Staat Zielvereinbarungen mit einzelnen Schulen schließen und erfolgreiche Einrichtungen belohnen“. Und das soll eingebettet sein in einen allgemeinen Wettbewerb der Schulen, denen man mehr Autonomie zugestehen will.
Faktisch jedoch bedeutet das, dass die Schulen, genau wie jetzt die Universitäten, mit massiv gekürzten Mitteln weiterhin dasselbe leisten sollen, ja sogar Zusatzaufgaben wie die verstärkte Integration von MigrantInnen übernehmen müssen. Wettbewerb muß also das ersetzen, was in anderen Zeiten selbstverständlich war: eine angemessene Ausfinanzierung der Schulen. Unklar ist, wie etwa der Wettbewerb einfach so die Klassengröße senken und bessere Betreuung herstellen soll.
Das Ergebnis wird folgendes sein: Wettbewerb erzeugt Gewinner und Verlierer, die jetzt schon vorhandenen krassen Unterschiede zwischen behüteten Elite-Gymnasien und schlecht ausgestatteten Innenstadt-Hauptschulen werden größer werden. Mit dem „transparenten Informationssystem“ in Form eines Schul-Rankings, das Lenzen ebenfalls fordert, wird nochmal zusätzliche Panikmache erzeugt und die realen qualitätsunterschiede werden maßlos übertrieben. Bildungsbewusste Mittelschichts-Eltern werden dann ihre Kindern in den Top-Ten Schulen der jeweiligen Stadt sammeln, der Rest bleibt hängen. Irgendwann werden die Top-Ten Schulen Kapital aus ihrer Position schlagen und massiv Schulgeld verlangen, und dann haben wir ihn wieder: den Feudalismus im Bildungssystem.
Ungleichheit als Folge
Anstatt revolutionärer Vorschläge setzt Lenzen uns also nur die altbekannte Privatisierungs- und Wettbewerbsschiene vor, garniert mit ein paar sozialen Deck-Argumenten, damit die Vorschläge besser ins Ohr gehen. Faktisch jedoch, und dass kann man im Ausland gut beobachten, führt Wettbewerb zu einer krassen Sortierung der „Bildungsanbieter“ in Spitze und Rest und somit zu massiv verstärkter Ungleichheit im Bildungswesen.
Wer wirklich bessere Bildung will, wird nicht umhin kommen, mehr Finanzmittel für Schulen und Universitäten zu verlangen, um bessere Betreuung sicherzustellen. Und statt dem Wettbewerb irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten zuzuschreiben, sollte man sich in der Realität umsehen: faktisch gesehen sorgt das Finnische System der Einheitsschule dafür, dass dieses Völkchen beim Pisa-Test am besten abschnitt. Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystem und Einführung eines Gesamtschulsystems mit angemessener Betreuungsdichte, dass wäre revolutionär.
Ralf Hoffrogge, FSI Geschichte FU