„Hunderte der Erststudenten wurden verfolgt, einige verhaftet, verurteilt und in der damaligen Sowjetunion ermordet. Als wir erfuhren, dass mindestens zehn der ersten studentischen Mitglieder der Freien Universität ihr Engagement für die Freiheit von Lehre und Wissenschaft mit dem Leben bezahlt haben, stand fest: Die Freie Universität Berlin wird die Erinnerung an sie sichern und den nachwachsenden Generationen sichtbar machen.“
Mit diesen Worten weihte Universitätspräsident Dieter Lenzen am 6. September 2007 eine monumentale Bronzeskulptur hinter dem Henry-Ford-Bau ein. Erst seit dem Jahr 2005 ist bekannt, daß im Rahmen der stalinistischen Säuberungen anfang der 50er Jahre auch etwa zehn FU-Studierende in Ost-Berlin verschleppt und später wegen angeblicher „Spionage“ in der Sowjetunion zum Tode verurteilt wurden. Ihnen soll das neue Denkmal gewidmet sein.
Entgegen Lenzens Absichtsbekundung findet sich am Denkmal jedoch kein einziger Hinweis auf die konkreten Schicksale der Ermordeten, es ist auf einer beigefügten Tafel lediglich ganz abstrakt von „Studenten, die für die Freiheit ihr Leben verloren haben“ die Rede. Eine konkrete historische Einordnung der Vorgänge findet nicht statt. Auch das Denkmal selbst ist in seiner Abstraktheit kaum zu überbieten – ein Gewirr von monumentalen Bronzestelen. Der Künstler selbst erklärte dazu in der offiziellen FU-Presserklärung zur Einweihung:
„Damit werden innerhalb des Werkes mehrfach Torsituationen geschaffen. Jede von ihnen symbolisiert ein Davor und Danach, Gefundenes und Gesuchtes, Altes und Neues, den Eintritt in weiteren Ebenen mit neuen Perspektiven“
Gefundenes und Gesuchtes – das mag vielleicht noch als Bezug auf die wiederentdeckten Schicksale der zehn Verschollenen durchgehen, aber auch nur mit viel begleitender Zeitungslektüre. Die FU hat also nun einen Gedenkort ohne Nennung von Namen, ohne Benennung der denkwürdigen Vorgänge bzw. Schicksale und auch ohne irgendeinen künstlerischen Bezug auf das Ereignis, an das erinnert werden soll. Unter diesen Umständen ist wirklich die Frage angebracht, was ein solches Gedenken wert ist.
Die FU-Leitung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, hier ein sehr hohles und abstraktes Mahnmal für irgendeine nicht näher benannte Freiheitsidee errichtet zu haben. Auch beim Lesen der offiziellen Presserklärung wird man ein mulmiges Gefühl nicht los – penetrant wird einem immer wieder der Name des Geldgebers für die Bronzeskulptur unter die Nase gerieben, dem Bankhaus Sal. Oppenheim. Dem sechszeiligen, ohnehin recht vagen, Lenzen-Zitat zur Widmung stehen neun Zeilen zur Beschreibung der Geschäftstätigkeiten der Bank gegenüber.
Jeder, der schon einmal eine Presserklärung verfasst hat, weiß wie wenig Platz zur Verfügung steht, nur prägnante und knappe Texte werden in den Redaktionen überhaupt gelesen, der Rest wandert in den Reißwolf. Warum also diesen knappen Platz noch für Geschäftspropaganda verschwenden, wenn eigentlich ermordeten Kommillitonen gedacht werden soll? Man muß wahrscheinlich Dieter Lenzen dankbar sein, daß Sätze wie „Im Investment Banking liegen die Kernkompetenzen in den Bereichen Corporate Finance und Financial Markets“ nicht gleich mit auf die neben der Skulptur angebrachte Bronzetafel graviert wurden. Dort findet sich zum Glück nur der Name des Spenders und kein interaktiver Werbebutton.
Dennoch – der Name der Bank steht auf der Tafell, die Namen der ermordeten Studierenden fehlen. Was soll man davon halten? Letztendlich bleibt nur der Schluß, dass die FU mit ihrer Gedenkpolitik rein instrumentelle Ziele verfolgt. „Mit 12 x 9 x 7 Metern ist „Perspektiven“ die derzeit größte und komplexeste Bronzeskulptur in Deutschland“ heißt es in der FU-Presserklärung. Schneller, höher, besser, dass scheint die Maxime bei der Erinnerungspolitik zu sein. Je mehr Metall, desto toller das Gedenken, und der Standort FU kann auftrumpfen im Exzellenzwettbewerb.
Andere Vorgänge an der FU zeigen ein ähnlich problematisches Verhältnis zur Geschichte. Bei der diesjährigen Wiedereröffnung des Henry-Ford-Baus etwa sperrte sich die FU gegen jede Diskussion um die Antisemitische Vergangenheit des Namenspatrons und beharrte weiterhin ohne jeden Beweis auf ihrer Schutzbehauptung, der Bau sei ja nicht nach Ford, sondern nach dessen Enkel Henry Ford II. benannt worden. Hier war die Ford-Foundation als Sponsor für die Renovierungsmaßnahmen ebenfalls wichtiger als die historischen Tatsachen.
Auch die im Henry Ford Bau zu besichtigende unselige Ausstellung „Zukunft von Anfang an“ über die Geschichte der FU zeigt ähnliche Tendenzen. Möglichst viele prominente Köpfe sollten hier mit der FU-Geschichte in Verbindung gebracht werden, auch wenn sie vielleicht nur einmal einen Vortrag an der FU gehalten haben. Wie in einer schlechten Hausarbeit aus dem ersten Semester sieht man hier vor allem Namedropping und vermißt die eigentlichen Inhalte. Und vor allem eins fällt auf: der berühmteste FU-Student, übrigens ebenfalls aufgrund der Wahrnehmung eines elementaren Freiheitsrechtes ermordet, fehlt in dieser Ausstellung ganz. Sein Name ist Benno Ohnesorg. Vor kurzem jährte sich dessen Tod zum 40. mal, ohne dass die FU hier irgendwelche Gedenkmaßnahmen ergriffen hätte.
Und das ist wahrscheinlich auch gut so, denn ein solch abstraktes, namenloses und unhistorisches Gedenken wie es sich die FU mit der „komplexesten Bronzeskulptur Deutschlands“ geleistet hat wünscht man wirklich niemandem. Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, das Kunstwerk einfach als solches zu nehmen ohne ihm eine Mahnmalfunktion anzuhängen, die es offensichtlich nicht erfüllt. An die ermordeten FU-Gründungsstudenten wäre durch eine schlichte Bronzetafel mit den Namen der Opfer weitaus besser erinnert gewesen. Aus diesem Grunde seien wenigstens hier die Namen der zehn Studenten einmal genannt: Günter Beggerow, Fritz Flatow, Günter Malkowski, Kurt Helmar Neuhaus, Ägidius Niemz, Friedrich Prautsch, Peter Püschel, Karlheinz Wille, Werner Schneider und Wolf Utecht.
2 Gedanken zu „Gedenken ohne Kontext – Geschichte an der FU“