Geschichte als Verdrängung – wie der Markt das Erinnern verändert

Nicht nur die Kontroversen um das im September an der FU eingeweihte „Freiheitsdenkmal“ weisen darauf hin, das in Sachen Geschichte an der FU die Dinge auf fatale Weise schief laufen. Auch andere Vorgänge machen immer wieder deutlich: Geschichte ist für das FU-Präsidium nur ein Rohstoff für Imagekampagnen. Im Stile einer Unternehmensgeschichte pickt man sich Erfreuliches heraus und verdrängt alle unangenehmen Facetten.
Seit Jahren schon weigert sich etwa die FU und namentlich Präsident Lenzen, eine Umbenennung des Henry-Ford-Bau zu erwägen, obwohl Ford sich als antisemitischer Publizist betätigte und mit dem Buch „Ihe International Jew“ eine der populärsten zeitgenössischen antisemitischen Schriften herausgab.
Präsident Lenzen beharrt in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf der Behauptung, der Ford-Bau sei nach Ford´s Enkel Henry Ford II. benannt – eine Behauptung, für die es keinerlei Beweise gibt, wie die FSI Geschichte in einem Artikel eindeutig zeigte: Der Ford-Bau wurde niemals eindeutig Henry Ford II. gewidmet – sonst hieße er ja auch „Henry-Ford II.-Bau“ oder “ HenryFord Junior Bau“
Auch hier folgt das Gedenken bzw. die Erinnerungspolitik rein instrumentellen, image-orientierten Kriterien. Obwohl die Vorwürfe gegen Ford seit Jahrzehnten bekannt sind, flüchtet sich die FU in Schutzbehauptungen, um die Vergabe von Geldern durch die Ford-Stiftung nicht zu gefährden. Dennoch wurde die wurde die Auseinandersetzung von der Presse weitgehend ignoriert – obwohl der AStA ausführliche Pressemitteilungen zum Thema herausgegeben hatte. Lediglich die marxistische Tageszeitung „Junge Welt“ und die „Jüdische Allgemeine“ berichteten seinerzeit über den Vorgang, die Mainstreampresse begnügte sich damit, die Versionen des Präsidiums abzuschreiben.
Auch beim Thema Faschismus und NS-Erbe ist die FU gut im Verdrängen. Nach wie vor werden auf der FU-Homepage die Institute der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft“ in verharmlosender weise als „deutsches Oxford“, als Standort exzellenter Wissenschaft porträtiert. Die Texte der Homepage stammen aus der Im Henry-Ford-Bau zu besichtigenden Ausstellung „Zukunft von Anfang an„, die 204 entworfen wurde und die FU-Geschichte als „Erfolgsgeschichte“ aufbereitet.
Zwar wird in den Texten auch erwähnt, dass in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auch die Nazis ihre Rassen- und Kriegswissenschaft betrieben, jedoch verschwindet diese Problematisierung hinter allerlei Beschönigungen. Es wird etwa der Eindruck erweckt, dass „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“, in dessen Gebäude heute die FU-Politikwissenschaft eingerichtet ist, habe sich erst seit Sommer 1933 mit rassistischer Forschung beschäftigt. Dabei sagt allein der Titel 1926 gegründeten Instituts klar aus, dass hier schon in der Weimarer Republik eine rassistische Forschungstradition etabliert wurde, welche die Nazis fertig vorfanden. Denn „Eugenik“ meint nichts anderes als die Reinigung des „Volkskörpers“ von „kranken“ und unerwünschten „Elementen“, sprich Menschen..
In der FU-Geschichtsschreibung liest sich das so:

„Das Institut entwickelte sich schnell zu dem humangenetischen Zentrum in Deutschland und erwarb sich u.a. durch seine empirische Grundlagenforschung Anerkennung.“

Quelle: http://www.fu-berlin.de/tour/geschichtsausstellung/geschichte/kwi_anthro/index.html
An dieser Stelle hätte es sich angeboten, die heutige Humangenetik auf ihre NS-Wurzeln und unverarbeiteten Prämissen abzuklopfen, oder auch auf die menschenverachtende Kontinuität aktueller eugenischer Argumentationen etwa gegenüber Behinderten hinzuweisen. Stattdessen versucht die FU hier, mit der künstlichen Trennung „vor 1933/nach 1933“ auch noch aus einem Institut, dessen bekanntester Mitarbeiter Joseph Mengele war, symbolisches Kapital zu schlagen.
An diesen zwei Beispielen wird deutlich, was die Kommerzialisierung der Universitäten und ihre Inszenierung als Unternehmen eines zukünftigen Bildungsmarktes bedeutet: eine Geschichtswahrnehmung, die kritisch, hinterfragend ihre Verantwortung wahrnimmt, hat hier nichts zu suchen. Am Umgang der FU mit 1968 und Studierendenprotesten im Allgemeinen ließe sich dieser Vorgang genauso aufzeichnen. Zwar war der Mainstream der Geschichte immer schon Herrschaftsgeschichte, und das ist im Falle der FU nicht anders. Die Vermarktwirtschaftlichung des Erinnerns offenbart jedoch eine ungeahnte Steigerung des Verdrängens.
Denn die Universitäten der Zukunft brauchen eine Erfolggeschichte. Die „Exzellenz“ der eigenen Uni muss schon „von anfang an“, also weit in der Vergangenheit angelegt sein. Und wenn die Vergangenheit nicht dazu passt, dann wird sie eben passend gemacht. Wenn man dazu den Faschismus in Orwellscher Manier schönreden muss, dann wird auch das gemacht – der Markt verlangt es.
Gedenkpolitik, Geschichtsrevisionismus, Erinnerung und Image – genau diese Fragen sind Thema der Podiumsdiskussion „Die Freiheit die ich meine?“ welche die FSI Geschichte am 6.11 gemeinsam mit dem AStA ausrichtet.

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