Ein wirklich unerwartet furioses Engagement startete gestern der „Dieter-Lenzen-Fanclub“ auf der zentralen Immatrikulationsfeier der FU-Berlin zum WS 2007/2008. Seitdem im Jahre 2001 der BDI-Präsident Hans Olaf Henkel auf der Immatrikulationsfeier von Studierenden ausgebuht und hinterher mit einer Torte beworfen wurde, gab es wohl keine derartig einprägsame Erstsemesterveranstaltung mehr an der FU.
Dabei fing es ganz harmlos an. Einen Tag vor der Immatrikulationsfeier wurde vom Fanclub zum Klatschen und Jubeln aufgerufen, bereits um 9:30 sollten sich die besonders harten Fans zum warmmachen versammeln – so jedenfalls kündigten es Flugblätter des Fanclubs in der FU-Mensa an. Auch die Polizei schien diese gelesen zu haben, bereits um 10h wurden Mannschaftswagen der Berliner Polizei in der Bolzmannstraße gesichtet.
Doch die hielten sich zurück. Einige AktivistInnen des „Exzellenzcluster vergleichendes Dosenstechen“, die sich mit zwei Kisten Sternburg-Pils und etwas Dosenbier versammelt hatten, wurden daher nur vom Wachschutz der FU belästigt. Die DosenstecherInnen wurden dann vor die Türen des Henry-Ford-Bau verwiesen. Geschmückt mit der Schildern „Eure Kinder werden so wie wir“ verteilten sie dort Freibier an Erstsemester und demonstrieren so erfolgreich Solidarität zwischen Lumpenproletariat und Elite-Uni.
Erster Jubel für „Drittmittel“ und „Exzellenz“
Doch zu Beginn der Immmatrikulationsfeier um 11h blieb zunächst alles ruhig und gesittet. Erst als der FU „Imagefilm“ in Dolby-Sorround und mit O-Tönen des Unipräsidenten die Vorzüge der FU erläuterte, begann es ein wenig surreal zu werden. Immer wenn Lenzens Gesicht auf der Leinwand erschien, brachen Teile des Publkums in frenetischen Applaus und Jubel aus…
Als dann der Dekan der Chariè-Universitätsmedizin Prof. Robert Nitsch als Ausrichter der Veranstaltung (die Immafeier wird turnusweise von verschiedenen Fachbereichen organisiert) seine Ansprache hielt, ging die Begeisterung weiter. Immer wenn die Worte „Exzellenz“ oder „Drittmittel“ fielen, gab es Jubel und Applaus aus einigen Ecken des Saals. Das Ganze muß recht eindrücklich gewesen sein. Denn in der sorgsam vorbereiteten Power-Point Präsentation zur Charité übersprang der Dekan am Ende des Vortrages ganz salopp eines seiner Dias mit den Worten „auf die Drittmittel muß ich dann nicht näher eingehen „….
Der Applaus schien leicht irritiert zu haben – offenbar wollte er die begeisterten DrittmitteljublerInnen nicht noch weiter reizen.
Die Rede des AStA: realer Studienalltag versus Eliteträume
Nach dem Dekan folgte schließlich AStA-Referentin Inga Nüthen mit einer pointierten Rede, die den Finger in genau jene Wunden legte, die das FU-Präsidium am liebsten vor aller Welt verbergen würde: autoritäre Strukturen an der FU, den Scharenberg-Berufungsskandal und zusätzlich die absurd hohen Abbruchquoten in den neuen BA-Studiengängen. Hier blieb das Publikum ruhig. Anscheinend hatte es den Lenzen-Fans schlicht die Sprache verschlagen, dass jemand derart frech am Image ihres Idols kratzte.
Dieter Lenzen zeigt sich seinen Fans – und ist einfach überwältigt
Als dann jedoch FU-Präsident Dieter Lenzen persönlich auftauchte, gab es kein Halten mehr. Minutenlanges Klatschen und Jubeln, Pfiffe, Hochrufe. Danach erklang ein offensichtlich einstudiertes, leider jedoch für die Mehrheit des Publikums im allgemeinen Trubel nicht verständliches „Lenzen-Loblied“. Auf die Melodie des Deutschlandliedes gereimt hieß es „Dieter, Dieter, über alles“ – oder so. Denn gleichzeitig versuchte Lenzen mit seiner Rede durchzudringen, und zusätzlich hatte sich an anderen Ecken des Saals der Applaus noch nicht gelegt. Die Botschaft des Songs ging also ziemlich unter. Mittlerweile ist jedoch das Lied nachzulesen auf: http://www.dieter-lenzen.de/Lieder/.
Lauter und klarer hingegen erklangen im weiteren Verlauf die Sprechchöre der Lenzen-Fans: „68 ist vorbei, nur der Markt, der macht uns frei“ – „Hoch die internationale Konkurrenz!“, „Top-Down Führungs-strategie!“, „Dieter Lenzen ein Idol – besser noch als Helmut Kohl“ – so die markantesten Sprüche. Lenzen selbst konnte sich nicht so recht gegen seine Fans wehren. Zwischendurch klang seine Rede zwar an in einigen Satzfetzen, aber das Mikrofon schien übersteuert oder er zu nah dran, so dass die klägliche Tonqualität eher noch belustigend wirkte.
Der Lenzen-Fanclub ließ sich jedoch nicht abbringen. Obwohl mittlerweile aufgebrachte Zuschauer ganz eigene Zwischenrufe starteten, es zu allerlei Geschrei kam, rissen die Sprechchöre nicht ab. Im Saal selbst war von Lenzens Rede so gut wie nichts zu verstehen. Daher macht es auch wenig aus, ob diese nun eher abgebrochen wurde, wie der Spiegel behauptet, oder „planmäßig verlief“ wie das Präsidium schreibt. Die Rede mag planmäßig vorgelesen worden sein – gehört hat sie niemand, sie wird daher wohl nur als schriftliche Überlieferung ( oder auch Überrestquelle) in die Historie eingehen. Mittlerweile ist die Lenzen-Rede auf der FU-Homepage nachzulesen, mit dem absurden Einleitungssatz „Es gilt das gesprochene Wort“. Tragikkomisch.
Bischof Huber: Warum denn nicht die HU?
Erst als Lenzen dann die Bühne verließ und Bischof Professor Huber die Bühne betrat, wurde es etwas ruhiger. Huber konnte seine Rede einigermaßen ungestört halten – abgesehen von den Stinkbomben, die Unbekannte im Saal deponiert hatten. Diese machten den Vortrag bzw. das Ausharren im Auditorium Maximum nicht gerade angenehm – weshalb auch der FSI-Reporter den Saal verließ und die Rede des Bischofs/Professors (welcher Titel ist nun vorrangig?) leider nicht mehr lauschen konnte. Laut Presseberichten nörgelte er ein wenig, dass die HU hätte „gleichrangig“ behandelt werden müssen – das ist wohl auch seine Pflicht, schließlich lehrt er ebenfalls an der HU. Die FU hat keinen Bischof als Professor und ist dennoch Elite – ein weiterer Beweis für die Gottlosigkeit und Verdorbenheit des Auswahlverfahrens im Exzellenzwettbewerb.
Protest als Störmanöver: undemokratisch und unfair?
Was bleibt vom Vormittag? Einige Leute sind buchstäblich stinksauer, andere Leute beschweren sich über das „undemokratische“ Verhalten der Störer. Doch welchen Sinn hat es, „undemokratische“ Protestaktionen zu kritisieren in einem Uni-Umfeld, das von Dieter Lenzen quasi diktatorisch dominiert wird. Die Gremien nicken die präsidialen Vorschläge einhellig ab, auch die absolute Geheimhaltung der Exzellenzanträge und die Nicht-Diskussion über die Strukturpläne der FU stößt außer bei einigen Studi-Vertreterinnen auf allgemeines Schweigen.
Und die Studis, die sich dann mal beschweren, haben nichts zu melden. In allen Gremien haben sie nur eine Minimalvertretung, Verfassungsgerichtsurteile verbieten (!) eine reale studentische Mitbestimmung an deutschen Unis, nach wie vor haben die ProfessorInnen eine Zwangsmehrheit in allen Gremien. Und da von denen sich niemand gegen Lenzen wehrt, gibt es an der FU im moment keine Opposition die innerhalb der vorgeschriebenen Kanäle irgendetwas ausrichten könnte. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus. Solange keine Demokratie in den Gremien herrscht, wird es wohl immer wieder zu derartigen Ausbrüchen kommen. Wer nicht gehört wird , der schreit irgendwann.
Ob dazu Stinkbomben nötig sind – das sei dahingestellt. Wichtig ist jedoch: die geplante Harmomie-Exzellenzshow des Präsidiums hat einen Dämpfer erhalten, und zwar zu recht.
Protestperspektiven – über den Personenkult hinaus?
Zu kritisieren wäre anderes: was kommt nach Lenzen? Auch seine Tage sind begrenzt, als Buhmann und Verkörperung der verhassten neoliberalen Uni-Umstrukturierung ist er mittlerweile legendär. Der Fanclub hat wirklich eine wahre Virtuosität darin entwickelt, die platte Offensichtklichkeit mit der Lenzen die Unternehmerideologie vertritt, auf die Spitze zu treiben. Wenn Lenzen Erstsemesterreden hält mit Titeln wie „Corporate Identity“, dann weiß man gar nicht mehr: ist das jetzt noch real? Ist es eine neue Satire? Oder ist die Uni wirklich schon so weit den Bach runter, dass sie sich für jeden Mist hergeben muss?
Dennoch – vor Lenzen gab es Peter Gaethgens, und der war nicht wirklich netter oder toller, und auch nach Lenzen werden wir es mit einem ähnlich üblen Typen (vielleicht auch einer Typin..?!) zu tun haben. Das Problem ist das System – solange die Unis Top-Down verwaltet werden, werden unsere Interessen untergehen – dafür findet sich immer ein Lenzen oder eine ähnliche Charaktermaske.
Mehr Infos:
-Pressespiegel zum Thema
-Wie das Cluster-Konzept entstand: Bericht von einer AS-Sitzung aus dem Jahr 2004
-Spiegel-Artikel zu Stinkbomben und Dosenstechen bei der Immafeier
-Rede des AStA-FU bei der Immafeier
-eine kritische Einschätzung von Lenzens bildungspolitischen Ideen: Lenzen als Bildungsrevolutionär
Sehr geehrte Damen und Herren,
“Die 68 sind vorbei, nur der Markt, der macht uns frei”. Wir haben
begriffen, dass es auf jeden Einzelnen ankommt, und jeder Einzelne sein
bestes geben muss. Nur so kommen wir weiter. Dieter Lenzen gibt uns nur
die Freiheit unser bestes zu geben, ebnet uns den Weg zu einer
stärkeren, universitäreren Freiheit.
Somit findet jeder einen Platz – und die Elite kann in Ruhe forschen.
Wir sind stolz, sie auf unsere Homepage http://www.dieter-lenzen.de einzuladen
und am Webblog teilzunehmen. Werden Sie Mitglied und sichern sie sich
einen Platz in unserem Elitären Zirkel. Bewerbungen können noch
eingereicht werden, an: info@dieter-lenzen.de
Mit freundlichen Grüßen,
Jean Peters
Head of Fanclub of Excellence
Gut gejubelt!
Unten ein link zu einem Hörfunk-Interview mit AStA-Vertreterin Inga zum Thema „Studium an der FU“ und „Warum Elite daneben ist“
Interview