Ein Lesenswerter Bericht über Studierendenproteste gegen die Frühjahrskonferenz der „European University Association“, die ende März in Barcelona stattfand, findet sich auf dem AStA-Blog. Parallel zur Konferenz organisierten die Studierenden der Stadt ein Sozialforum, um eigene Vorstellungen zur Bildungsreform zu entwickeln :
Beim Forum Social in Barcelona, dass sich explizit die Verteidigung der öffentlichen Universitäten zum Ziel gesetzt hatte, standen insbesondere die Entwicklungen hin zu Kommerzialisierung und Bildungsmarkt im Vordergrund. Kritisiert wurden der zunehmende Einfluss von Banken und Unternehmen, die einen wesentlichen Motor der aktuellen Reformen darstellten und mit Drittmitteln die Lehrinhalte beeinflussten. Sehr plastisch wurde von mehreren linken Wirtschaftsprofessoren (eine Spezies, die in Barcelona noch nicht komplett ausgestorben scheint) die zunehmende Senkung des Niveaus und die Entwissenschaftlichung des Studiums dargestellt, die sich durch eine rein nach dem Bedarf der Wirtschaft orientierte Ausbildung ergebe. In einigen Universitäten Spaniens gebe es sogar Masterstudiengänge, die nach den entsprechenden geldgebenden Großunternehmen benannt seien.
Vollsperrung der Uni und Rangeleien mit der Polizei
Die Aufmachung der offiziellen EUA-Konferenz trug nichts dazu bei, diese Befürchtungen zu entkräften: mit der “Caixa Catalunya” trat eine der größten katalanischen Banken prominent als Sponsor der Konferenz auf. Dies schürte natürlich den Unmut der Studierenden. Neben den Diskussionen auf dem Forum Social wurden in zwei Fällen die Sitzungen der Konferenz gestört, Protestierende drangen ein und verlasen Protestresolutionen. Als Reaktion darauf riegelte die katalanische Regionalpolizei “Mossos d´esquadrones” das Hauptgebäude der Universitat Barcelona komplett ab und erlaubte für die Dauer der Sitzungen nur akkreditierten KonferenzteilnehmerInnen den Zugang. Im Anschluss an diese Aussperrung kam es zu weiteren Rangeleien zwischen Polizei und Studierenden, jedoch nicht zu ernsten Zwischenfällen.
Der Bologna-Prozess läuft im Gegensatz zu seinen Anfängen vor fast zehn Jahren nicht mehr mit ungebremstem Schwung – zu offensichtlich sind die Krisenerscheinungen und Probleme, etwa bei der Einführung von BA und MA-Abschlüssen, dem Kernstück der Reform. Der Autor des AStA sieht hier neue Chancen für studentische Politik:
Denn nach fast zehn Jahren Reform zeigt sich, dass zentrale Ziele des Prozesses verfehlt wurden. Nationale Alleingänge, passiver Widerstand, sehr unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen, Zeitdruck und chaotische Umsetzung auf lokaler Ebene – all diese Faktoren trugen dazu bei, dass der Bologna-Prozess heute eher einem großen Chaos als dem befürchteten hermetisch-homogenem Bildungsmarkt gleicht. Dennoch hat der Prozess, insbesondere in Deutschland, die Tendenzen zur Privatisierung und Warenförmigkeit von Bildung massivst beschleunigt und das öffentliche Bildungswesen stärker verändert als jede andere Reform einschließlich der großen Veränderungen im Gefolge von 1968.
Dieser Widerspruch zwischen Scheitern und Radikalreform wurde auf dem Forum Social leider nur andiskutiert. Es wäre eine Aufgabe für zukünftige studentische Protest- und Diskussionsforen, hier anzusetzen und die Widersprüche innerhalb des Bologna-Prozesses, aber auch zwischen Bologna und anderen Prozessen zu diskutieren. Dies setzt einiges an Recherche und wissenschaftlicher Aufarbeitung voraus, aber die Sache lohnt sich. Denn die chaotische Umsetzung der Bildungsreformen ist mittlerweile auch von Mainstream-Medien nicht mehr totzuschweigen, eine eventuelle De-legitimierung des Prozesses könnte neuen Spielraum bieten für Interventionen linker Bildungspolitik.
Den ganzen Artikel einschließlich interessanter Fotos könnt ihr hier nachlesen.