Nicht jeder Tod eines Studenten ist hochschulbezogen…

Wir dokumentieren an dieser Stelle die Presserklärung des AStA FU zum 40-jährigen Todestag von Benno Ohnesorg:
„Nicht jeder Tod eines Studenten ist hochschulbezogen“- mit diesen Worten verurteilte das Verwaltungsgericht Sigmaringen am 02.02.1968 den AStA der Universität Tübingen dazu „politische Forderungen und Stellungnahmen zu unterlassen, soweit sie nicht hochschulbezogen sind“.
Anlass war eine Solidaritätserklärung des Tübinger AStA vom 05.06.1967 an die Studierendenschaft der FU Berlin angesichts der Ermordung von Benno Ohnesorg drei Tage zuvor. In der Erklärung wurde unter anderem der Rücktritt des Tübinger Bürgermeisters gefordert – insbesondere eine solche „allgemeinpolitische“ Forderung ging dem Gericht zu weit, sie wurde schlichtweg verboten.
Heutigen Beobachterinnen mutet das Urteil vielleicht wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten an, als Homosexualität noch kriminalisiert wurde und Pärchen ohne Trauschein keine Wohnung mieten konnten. Doch dem ist nicht so. Das Urteil hat weiterhin Bestand und wurde in den fast 40 Jahren seit seiner Verkündung mehrfach bestätigt, etwa im Jahr 2004 als gegen den AStA der FU ein Ordnungsgeld wegen vermeintlich „allgemeinpolitischer“ Äußerungen verhängt wurde.

Was bedeutet Ohnesorgs Beispiel heute?

Eine Presserklärung zum 40-Jährigen Todestag Benno Ohnesorgs steht daher vor dem Problem, über genau jene Themen schweigen zu müssen, die Studierende von heute bewegen. Sicher ist es kein reiner Zufall, dass genau am 2. Juni 2007 in Rostock mit einer großen Auftaktdemo die Proteste gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm beginnen. Auch hier werden FU-Studierende teilnehmen, auch hier ist Gewalt seitens des Staates zu befürchten. Und auch inhaltlich sind die Parallelen zur Anti-Schah Demo des Jahres 1967 offensichtlich. Damals wie heute geht es gegen ein für Mensch und Natur zerstörerisches Weltwirtschaftssystem, gegen Doppelmoral und Heuchelei in den Internationalen Beziehungen, gegen den Krieg, der vom „freien Westen“ in die vermeintlich unzivilisierten Randgebiete des Planeten getragen wird.
Doch der Imperialismus hat keinen Hochschulbezug, und daher können wir als AStA der FU auch in dieser Presserklärung nicht zur Demonstration aufrufen und keine Wertungen dazu abgeben, welchen Protest, welche Themen, welche Aktionsformen uns heute in der Nachfolge Ohnesorgs und seiner MitstreiterInnen als notwendig und gerechtfertigt erscheinen.
Redefreiheit und Verbote
Daher beschränken wir uns auf den Hinweis, dass die Studierendenbewegung an der FU Mitte der 60er Jahre als Protest für Meinungsfreiheit begann, als Protest gegen Redeverbote für AStA-Vorsitzende und kritische Stimmen von Außen. Auch diese unselige Tradition lebt an der FU fort. Beweis dafür ist der Versuch des Präsidiums vom Mai diesen Jahres, kritischen studentischen Veranstaltungen zum Thema G8 die Räume zu entziehen.
Denn aufmüpfige Studierende sind ungefähr das Letzte, was sich die FU-Leitung an ihrer „Exzellenzuni FU“ wünscht. Hier sähe man lieber eine homogene, freundlich lächelnde Masse in Shirts und Pullis mit FU-Logo, die „corporate identity“ demonstriert und gesellschaftliches Engagement bestenfalls simuliert.
Der AStA FU ruft daher die Studierenden zum 40. Todestag Benno Ohnesorgs dazu auf, diesem Bild nicht zu entsprechen, sondern sich auch da einzumischen, wo es nicht ins Weltbild von Universitätsleitung und Mainstreammedien passt. Der Widerstand gegen den Demokratieabbau an den Hochschulen und gegen deren zunehmende Kommerzialisierung ist ein guter Einstieg dafür. Kritische Studierende werden sich die Erkenntnis, dass diese Prozesse auch mit gesellschaftlichen Verhältnissen außerhalb der Hochschule zu tun haben, nicht von Verwaltungsgerichten verbieten lassen.
Literaturtipps zu 1967 und zur Studierendenbewegung heute:
„Universität im Umbruch“ – Herausgegeben vom AStA der FU Berlin, 2003.
„Von der Freien zur Kritischen Universität“ – Herausgegeben vom AStA FU Berlin, Neuauflage 2002.
Beides online einzusehen unter: http://www.astafu.de/inhalte/publikationen/hopo/