Terrorismus aus der Bibliothek…

Heute abend um 18 uhr findet in Berlin-Moabit vor der Justizvollzugsanstalt (Alt-Moabit 12a, U-Turmstraße) eine Solidaritätskundgebung mit den vier Berliner Verdächtigen im neuesten Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in der „militanten Gruppe“ statt. Insbesondere Studierende sollten sich eine Teilnahme überlegen, ist doch einer der Verdächtigen einzig und alleine wegen eines angeblichen Gesprächs, vor allem aber wegen seiner Beschäftigung mit kritischen inhalten im Studium in die Fänge des Staatsanwaltschaft geraten und sitzt seit dem 1.8. in Untersuchungshaft.
So heißt es in der Begründung der Staatsanwaltschaft etwa:

Eine von dem Sozialwissenschaftler … 1998 in der Zeitschrift .. veröffentlichte wissenschaftliche Abhandlung enthält Schlagwörter und Phrasen, die in Texten der „militante(n) Gruppe (mg)“ gleichfalls verwendet werden. Die Häufigkeit der Übereinstimmung ist auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich.“

Also, vorsicht was ihr demnächst für Schlagwörter in euren Hausarbeiten, Artikeln und so weiter verwendet. Allein schon die Beschäftigung mit Themen wie Kapitalismus, Prekarisierung, Ausbeutung, Imperialismus oder ähnlichem könnte euch in gefährliche Terrorismusnähe rücken.
Aber selbst unkritische WissenschaftlerInnen scheinen nicht automatisch unverdächtig – allein der unauffällige Zugang zur Bibliothek ist schon ein Verdachtsmoment:

„Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)“ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen.“

Der sogenannte „Terrorakt“ um den es hier geht, ist eine Brandstiftung an drei Bundeswehrfahrzeugten auf einem MAN-Betriebsgelände in Brandenburg. Drei der Verdächtigen waren in der fraglichen Nacht von der Polizei observiert worden, eine weitere Person wurde wegen angeblich konspirativer Kontakte zu den drei Beschuldigten verhaftet.
Ist es schon fragwürdig, einen Brandanschlag auf leere Fahrzeuge ohne jeden beabsichtigten oder erfolgten Personenschaden als „Terrorismus“ zu bezeichnen, so ist insbesondere die Zuordnung der verdächtigen zur „Militanten Gruppe“ fragwürdig.
In einer Presserklärung der Verteidigung heißt es:

Bezüglich eines der drei in Brandenburg Festgenommenen heißt es, dass obwohl „keine polizeilichen Erkenntnisse vorliegen“, dies der „Annahme des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht entgegen“ stehe. Wie sich vielmehr „aus den Schriften der militante(n) Gruppe(mg)“ ergäbe, entspräche dies „damit vielmehr genau den Anforderungen, die diese Vereinigung an ihre Mitglieder stellt.“

Also, gerade weil es keine polizeilichen Erkenntnisse gibt, sind die drei um so verdächtiger, der Terrorgruppe anzugehören, denn die Geheimhaltung sei ja gerade eines der Merkmale jener Terrorbande. Alles Klar?
Weitere Gründe für die Zuordnung zur „militanten Gruppe“ (mg) sind die bereits erwähnten sozialwissenschaftlichen Forschungen, welche ja mit dem Themenkreis der übereinstimmten.
Spätestens hier wird klar, was es mit dem „Terrorparagraphen“ 129a auf sich hat. Jede Straftat mit vermeintlich politischem Hintergrund kann zum Vorwand genommen werden, geradezu beliebig viele Verdächtige mit fadenscheinigsten Gründen festzuhalten. Ohne den Gesinnungsparagraphen 129a wäre in diesem Fall lediglich gegen die drei (angeblich) auf frischer Tat ertappten Verdächtigen ein Verfahren wegen Brandstiftung erfolgt, eine Untersuchungshaft wäre wegen fehlender Verdunkelungsgefahr kaum vertretbar gewesen.
Die Konstruktion der „terroristischen Vereinigung“ erlaubt es jedoch dem Staat, quasi aus dem nichts heraus Verschwörungen zu behaupten und diese als Anlaß für Razzien, Hausdurchsuchungen, unbeschränkte Untersuchungshaft etc. zu nehmen. Beruhte die Konstruktion der 129a Razzien vor dem G8 Gipfel noch auf tatsächlicher politischer (wenn auch keinesfalls terroristischer) Aktivität der „Verdächtigen“, so haben die Grundrechtseinschränkungen mit diesem neuesten Fall eine neue Stufe erreicht: allein die wissenschaftliche Betätigung mit gewissen Themen kann als Auslöser für einen Terrorismusvorwurf dienen.
Wie auch immer man zum G8, zu militanten Aktionen oder der „militanten Gruppe“ im besonderen stehen mag – es müsste klar sein, daß in diesem Verfahren nicht nur ein oder zwei Studierende, sondern die Wissenschaftsfreiheit und letztendlich die Grundrechte im Allgemeinen gegen einen immer weiter ausufernden Sicherheitsapparat verteidigt werden müssen. Nicht nur die Linke, nicht nur die Studierenden und Wissenschaftler, jeder und jede sollte sich daher überlegen, ob man angesichts derartiger staatlicher Übergriffe weiter schweigen kann.
weitere Infos:
http://soli.blogsport.de/
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,497923,00.html
http://de.indymedia.org/2007/08/189731.shtml
http://www.taz.de/index.php?id=start&art=2665&id=deutschland-artikel&cHash=3923e65a56